VON KARIN DÜCHS
OBERHOF – „Wir haben in Thüringen nicht so viele Kinder. Das heißt, wir müssen jedes Talent, das wir haben, hegen und pflegen“, erklärt Mario Möller. Der Geschäftsführer des Thüringer Skiverbandes hat Sorgenfalten auf der Stirn. Denn im bekannten Nachwuchszentrum in Oberhof ist die Hege und Pflege derzeit ziemlich schwierig.
Der Bau am Sportgymnasium Oberhof ist nämlich im Zeitverzug, die Bedingungen sind längst nicht optimal. „In der Woche vor Weihnachten war ich bei Kultusminister Jens Goebel im Wahlkreisbüro und habe ihn informiert“, berichtet Matthias Gensler. Der Vater hat den Minister in Kenntnis gesetzt über die Zustände am Elite-Sportgymnasium, genauer: auf der Baustelle. Seine Tochter besucht das Oberhofer Gymnasium, das so viele der Thüringer Wintersportasse hervorgebracht hat, wie Andrea Henkel, Ronny Ackermann und Sven Fischer. Auf der Genslerschen Mängelliste steht einiges: der enorme Bauverzug und die Beeinträchtigungen für die Schüler, die Kosten für die Eltern und die Aussicht darauf, dass damit noch lange nicht Schluss ist.
Gensler geht es um Verständnis und Gerechtigkeit. Zum neuen Schuljahr hat das Kultusministerium den Elternanteil fürs Internat erhöht. 215 Euro sind es nun mit Verpflegung, bis zur nächsten Erhöhung, die schon festgeschrieben ist. Was Gensler erregt, ist schlicht, dass man auf die so viel schlechteren Bedingungen etwa im Vergleich zum Sportgymnasium Erfurt nicht reagiert – obwohl es eine Möglichkeit gäbe. Das Ministerium kann laut eigener Vorschrift die Unterkunftsgebühr von 95 Euro um 20 Prozent ermäßigen, „wenn die Bausubstanz des Internats noch durchweg unsaniert ist und damit noch nicht dem derzeitigen Stand der Bautechnik entspricht“.
Nichts ist optimal
Auch deshalb sollte sich der Herr Minister mal persönlich ein Bild von den Bedingungen für die Schüler machen. Am Freitag vor den Winterferien war es so weit: Jens Goebel hat sich zusammen mit Schulleitung, Architekten und auch mit Mario Möller die Baustelle angesehen. Seit 2004 ist das Sportgymnasium im Bau. Seit spätestens November 2006 sollte zumindest das Schulhaus fertig sein. Ist es aber nicht. Neuer Termin ist der 27. April. Das Zentralgebäude soll nach Auskunft des Bauministeriums gar erst im März 2008 fertig sein – während die Schulleitung noch auf den Jahreswechsel 2007/2008 hofft. Dann will man auch mit der zweiten Bauphase beginnen, den Internatsgebäuden. Ein Jahr soll das etwa dauern. Macht summa summarum fünf Jahre Bauzeit, Dreck und Lärm. Eine dritte Bauphase für die Turnhalle soll noch folgen. Hegen und Pflegen geht anders. „Es wird ja noch schlimmer“, sagt Papa Gensler dazu.
Derweil heißt es jetzt schon für die Internatsschüler jeden Morgen früher aufstehen und zum Frühstücken in die Grundschule zu laufen. Der Unterricht findet im Containerdorf hinter dieser statt, Mittagessen gibt es in zwei Schichten wiederum im zu kleinen Speisesaal der Grundschule, zum Abendbrot dann noch einmal der Fünf-Minuten-Weg vom Internat hinunter. Das Essen wird aus Gotha geliefert. „Manche Sportler kommen nicht auf ihre Nährwerte“, bemängelt Schülersprecherin Lisa Sparbrod. Eine sportartspezifische Ernährung sei so schlicht nicht möglich, stellt ein Sportlervater fest. Die Sauna, die für die Wintersportler so wichtig wäre, fehlt. Auch der Unterricht leidet, da sind sich Schüler, Eltern und Lehrer einig. „Wir machen Kreidephysik“, bedauert Volkmar Heyder, der stellvertretende Schulleiter. In den Containern sind Versuche nicht möglich, weder in Physik noch in Chemie. „Und die Prüfungen am Ende sind für alle gleich“, ergänzt Schulelternsprecherin Ines Gutberlet. Vorwürfe an die Schule gibt es nicht. Unisono sagen Eltern- wie Schülersprecherin: „Unsere Schule kann nichts dafür.“ Dennoch sei die Stimmung bei den Eltern schlecht, sehr schlecht, weiß Gutberlet. Die Bauzeit der Schule wird denn auch bei der Versammlung der Elternsprecher im März ein heißes Thema sein.
Indessen ist das Schulgebäude bis auf einige kleine Restarbeiten fertig, erklärt der Projektverantwortliche aus dem Bauministerium, Lutz Knillmann. Das Problem: Es kann nicht betreten werden, weil die Verbindungen zum Zentralgebäude nicht fertig sind. Diese wiederum sind nicht begehbar, weil die Stahlbaufirma, die etwa für die Geländer zuständig gewesen wäre, insolvent ist. Unterdessen machten die drei Verbinder schon früher Schwierigkeiten, als man nämlich feststellte, dass diese teilweise kein Fundament hatten. Bauverzug.
Die in den 70er Jahren erbaute Kinder- und Jugendsportschule barg auch sonst einige böse Überraschungen. Vor allem die Statik des Zentralgebäudes war unzureichend. Es habe „gravierende Abweichungen der vorhandenen Bausubstanz von den angenommenen Bauzuständen gegeben“, teilt das Bauministerium mit. Statikelemente, die in den Plänen eingezeichnet waren, gab es zum Beispiel gar nicht. Das habe man auch nicht vorab prüfen können, erklärt Knillmann. Erst als die Elemente freilagen, offenbarte sich die Bescherung. Bauverzug.
In dem Zentralgebäude sollen Schul- und Trainerräume, Aula, Küche, Speisesaal, Bibliothek und Verwaltung untergebracht werden. Bis diese allerdings tatsächlich ihre Aufgabe erfüllen können, wird es März 2008 sein. Das heißt für die Schüler weiterhin zum gelieferten Essen spazieren und auf einer Baustelle leben. Weil der vergangene Winter so früh eine Bauruhe erzwungen hat, konnte das Dach nicht abgedichtet und so der Innenausbau auch nicht vorangetrieben werden. „Auch im Ministerium hat man gefragt, warum wir nicht weitergebaut haben“, berichtet Projektverantwortlicher Knillmann. Aber Kosten, Aufwand und Ergebnis hätten in keinem vertretbaren Verhältnis gestanden. Bauverzug.
Neue Internatspläne
Wenn Ende April die Unterrichtsräume im Schulgebäude bezogen werden können, ist das Containerdasein beendet. Vor allem sind keine 9000 Euro monatlicher Miete mehr fällig. Bauverzug ist nicht nur unangenehm, sondern auch teuer. Das habe Einsparungen nötig gemacht: Luxus hält Heyder für die angemessene Bezeichnung, Knillmann sagt lieber Verzichtbares. „Luxus gibt es beim öffentlichen Bau nicht.“ Dennoch meinen sie das gleiche und so war man sich einig, dass Parkettböden im Schulgebäude nicht sein müssen, Linoleum reicht. Die Einbauschränke sind nur normal furniert und die Schulmöbel werden in der Justizvollzugsanstalt Untermaßfeld hergestellt.
Kein Geld zugesagt
Jedoch wird im Mai nicht alles gut sein. Das Ungemach in den beiden Internatsgebäuden mit dem solid-herben Charme einer 70er-Jahre-Jugendherberge ist größer als vermutet. Im Dezember vergangenen Jahres mussten einige Duschen im Jungenhaus gesperrt werden: Die altbekannte Legionellenbelastung war gestiegen – und zwar gesundheitsgefährdend. Die fiesen Bakterien sind die Erreger der Legionärskrankheit, einer Form der Lungenentzündung, die nicht selten tödlich verläuft. Die Routinekontrolle des Gesundheitsamtes kam rechtzeitig, um einzugreifen. Nach einer chemischen Desinfektion des Leitungssystems sind die Duschen wieder benutzbar. „Wir haben uns irgendwann gewundert, warum unser Sohn sich freitags erst zu Hause duscht“, erzählt ein Vater.
Lustig findet die Probleme an der Schule längst niemand mehr: „Wir sind uns der Situation bewusst“, versichert Sprecher Detlef Baer für das Kultusministerium. „Das Internat steht auf der Agenda.“ Eine Finanzierungszusage könne es aus dem Ministerium jedoch noch nicht geben, weil der Doppelhaushalt 2008/2009 erst beraten wird. Derweil prüft das Bauministerium eine neue Variante. Mit einer Öffentlich-Privaten-Partnerschaft ließe sich der Internatsneubau möglicherweise eleganter regeln. Ein Unternehmen würde die Investitionen und die Baudurchführung tragen. Dafür zahlt der Freistaat als Schulträger mit Leasingraten die Investitionen ab – und ein bisschen mehr für den Profit. Der Vorteil für den Freistaat in diesem Planspiel ist, dass die aktuelle Haushaltsbelastung nicht so hoch ist. Und: Bauherrn aus der freien Wirtschaft könnten schneller und flexibler bauen, erklärt Knillmann. Dabei sollte erst eines der beiden Häuser komplett abgerissen und neu gebaut werden, erzählt Heyder von den Plänen. Die schlechten Erfahrungen mit dem Altbestand hätten zu dem Entschluss beigetragen. Wo die dann obdachlose Hälfte der 182 Schüler während der Bauphase untergebracht wird, ist noch unklar.
Ines Gutberlet betrachtet so ein Modell skeptisch, weil sie befürchtet, dass ein privater Investor das Internat teurer macht. Einige Eltern treibt der Leistungssport der Kinder ohnehin an die finanzielle Schmerzgrenze, weiß Lisa Sparbrod. Je nach Sportart, Heimatverein und Kaderzugehörigkeit kommen schnell zusätzlich 1000 Euro für Material und Trainingslager im Jahr zusammen.
Dauert die Baumisere noch länger an, könnten ganz andere dunkle Wolken am Thüringer Sporthimmel aufziehen: „Die Gefahr ist, dass die Eltern ihre Kinder massiv zurückhalten“, gibt Möller zu bedenken. Thüringer Asse wachsen schließlich schwerlich auf einer Baustelle.
Schülersprecherin Lisa Sparbrod lebt auf einer Baustelle. Das Sportgymnasium Oberhof muss vor allem seinen Internatsschülern derzeit einiges zumuten, denn der Bau ist in Verzug. Erst wenn auch die Internatsgebäude erneuert sind, können die Nachwuchshoffnungen des Thüringer Leistungssports optimal gehegt und gepflegt werden. - FOTO: ari