Fürs Leben nun ein goldenes Reifezeugnis
Ressort Suhl
Erschienen am 02.06.2007 00:00
GESCHICHTEN ZUM WOCHENENDE
Fürs Leben nun ein goldenes Reifezeugnis
Gestern trafen sich in der Aula des Gymnasiums zwei ehemalige zwölfte Klassen, die vor fünfzig Jahren hier ihr Abitur ablegten
VON LILIAN KLEMENT
Hier in dieser schönen, alten Aula haben sie alle schon einmal gesessen. In großer Erwartung ihres Abiturzeugnisses. Die Aufregung damals, sie war freilich eine andere als heute. Dennoch ist sie da. Kein Wunder, wenn man nach fünfzig Jahren noch einmal an seine Schule zurück kommt.
Vorm Eingangsportal und inmitten ihrer Schüler von einst: Bernhard Fisch (2. v. l.) und Rolf Henkel (3. v. l.) FOTO: frankphoto.de

SUHL Das Klassentreffen des Abiturjahrgangs 1957 ist ein in doppelter Hinsicht besonderes. Die Klassen A und B legten damals nämlich auch das fünfzigste Abitur seit Bestehen dieser Schule ab.

1903 eröffnet als Kaiser-Wilhelm-Oberrealschule, später Erweiterte Oberschule „Artur Becker“, nach der Wende Herder-Gymnasium, im Moment ein namenloses Staatliches Gymnasium. Ein stattlicher, ehrwürdiger, dunkelroter Ziegelbau, durch dessen hohes Eingangsportal Tausende von Schülern kamen und gingen. Gerade sind wieder Abiturprüfungen zu Ende. Und wieder machen sich junge Leute voller Erwartungen und Neugier, mit viel Wissen im Kopf, auf den Weg ins Leben.

Genau wie sie damals, 1957. Ihr Berufsleben haben sie meist hinter sich, doch hoffnungsfroh begann auch für sie alles an dieser, ihrer Schule. Die nun so viele Erinnerungen birgt, gute und weniger gute. Manche muss sich erst mühsam wieder den Weg ins Gedächtnis bahnen. Später, beim Gang durch die Klassenräume, durch das hohe Treppenhaus und die langen Flure, als der offizielle Teil der Begrüßung in der Aula vorbei ist, blitzen schon eher wieder diverse Erlebnisse auf. Auch wenn sich vieles in den Räumen veränderte, neue Gerüche, neue Farben, andere Möbel, Tische und Stühle zu Gruppen zusammengestellt, das gab es damals nicht.

Aber die solide „Grundausstattung“, um es im Leben zu etwas zu bringen, die haben sie hier erhalten und wissen das zu schätzen. Alle etwa 35 Ehemaligen, die sich gestern zum Treffen auf den Weg machten – etliche kommen Suhl, doch viele auch von woanders her: Erfurt, Dresden, Jena, Greifswald, Kempten, Chemnitz, Ilmenau – sind etwas geworden. Die meisten Ingenieure, Lehrer, Dolmetscher, Ärzte, Kindergärtnerinnen, Wissenschaftler. Sogar zwei Professoren gingen aus diesem Abiturjahrgang hervor, und beide sind sie natürlich auch gekommen: Peter Schumann, Atomphysiker aus Dresden, und zu DDR-Zeiten mit dem Nationalpreis für Wissenschaft und Technik geehrt, und Dietrich Stade, fast sein ganzes Berufsleben lang Dozent für Elektrotechnik an der damaligen TH Ilmenau und heutigen TU. Vor drei Jahren schied er aus Altersgründen aus, doch Ruhestand war nicht sein Ding. Er gründete ein Ingenieurbüro und berät überdies Firmen.

Auf diesen Tag heute hat er sich gefreut, wie auch all die anderen. Ein Wiedersehen nach so vielen Jahren ist etwas Schönes. Auch wenn sich nicht alle gleich auf Anhieb erkennen, weil manche sich wirklich fünfzig Jahre aus den Augen verloren. So ergeht es auch Studienrat Rolf Henkel, Klassenlehrer der B-Klasse, der seine Zöglinge zum Mathe-Abi führte. „Ich bin doch die Marlis“, sagt eine Frau beim Betreten der Aula und schüttelt ihm die Hand. „Sie hab’ ich gleich erkannt, Ihre Kleiderordnung ist auch noch wie früher, dunkle Jacke, helle Hose“, sagt sie und Rolf Henkel schmunzelt in sich hinein. Henkel wenigstens hat seine in Suhl lebenden Schüler nie aus den Augen verloren, da funktioniert Erkennen eben auf Anhieb, und zu manchen Schülern mag sich eine achtungsvolle Freundschaft entwickelt haben.

Ein anderer alter Herr, Bernhard Fisch, promovierter Russisch-Lehrer, muss viel heftiger in seinen Erinnerungen kramen. Er war nur vier Jahre Pädagoge an dieser Schule und ging 1958 nach Stadtroda. Gefreut hat er sich sehr über diese Einladung, er gehört zu den wenigen noch lebenden Lehrern von damals. Wie auch der stadtbekannte Suhler Musiklehrer Heinz Klingelstein, der gestern von allen vermisst wurde.

Beim Thema Musik fällt der Suhler Ärztin Ute Linz ein, dass früher zur ersten Stunde immer ein Lied gesungen wurde. „Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren“, sagt sie lachend. Auch Irmgard Andreew, Lehrerin von Beruf und zuletzt im Suhler Arbeitsamt tätig, erinnert sich gern an das gemeinsame Singen, und diese Lieder seien damals alles andere als kämpferisch gewesen. Kommt es auf das Fach Mathematik zu sprechen, geht erst einmal so mancher Blick in die Runde, schließlich sitzt der Mathe-Lehrer Henkel dabei. Edgar Röder, Diplomhandelslehrer, der auch die schönen Erinnerungs-Urkunden für die Pädagogen entwarf: „Ich war zwar der mieseste Mathematiker, aber an der sphärischen Trigonometrie und wie sie Rolf Henkel so einleuchtend erklärte, blühte ich richtig auf. Er war ein guter Lehrer, kein strenger, und Spaß vertrug er auch.“

Das können Ulrich Strom, der Feinmechanik/Optik studierte und zuletzt als Amtsleiter Schulverwaltung bei der Stadt Suhl tätig war, und Horst Schneider, Wirtschaftsingenieur, bestätigen. Schneider musste sein Abitur gleich zweimal machen, in der DDR, und dann in der BRD. Er hatte Suhl gen Westen verlassen, weil er nicht studieren durfte, denn sein Vater besaß ein Geschäft in der Bahnhofstraße. Er lebt bei Solingen, kommt aber noch jedes Jahr hierher, die Stadt bleibt eben seine Heimat.

Peter Kessel, der Bauingenieur, ist Zeit seines Lebens in Suhl geblieben. Er und einige andere hatten die Organisation dieses Jubiläums-Abiturtreffens in die Hand genommen. Er begrüßt auch gestern alle, die kommen konnten. Und weil Aula und Anlass des Geschehens etwas ganz besonders sind, wurden für alle Anwesenden noch einmal Reifezeugnisse ausgestellt, diesmal goldene. Auf feinem Papier und mit einem feinen Text. Es bescheinigt allen Abiturienten von damals, dass die in „dieser Anstalt geformte sittliche Reife und das erworbene Wissen mit großem Fleiß und Können von der beruflichen Laufbahn bestätigt“ worden sei.

Da kann selbst Oberbürgermeister Jens Triebel, der die gestandenen Abiturienten von einst in der Aula herzlich begrüßt, nur staunend bemerken: „Ich beneide Sie um Ihre Erfahrungen und um Ihre Geschichtchen.“ Bis zum Sonntag haben alle Gold-Abiturienten nun genügend Zeit, sich in Suhl darüber auszutauschen.